Datum: 21. April 2016 um 02:47
Geehrte Landesrätin
Eigentlich schätze ich Sie persönlich sehr für Ihre engagierte Arbeitsweise.
Leider musste ich mit Entsetzen lesen, dass die Landesregierung unter Ihrer Federführung plötzlich einen 360’5-Schwenk von freier Software weg hin zu Office 365 macht, und dass das langfristig auch noch Kosten einsparen soll. Vor drei Jahren, damals unter Bizzo, sah das noch ganz anders aus. Da war von einer Kosteneinspraung von 600.000 € die Rede, wenn der Wechsel hin zu Libreoffice vollzogen wird.
Den plötzlichen Rückschwenk nenn ich mal genau das Gegenteil von einer kohärenten Strategie und ist glaube ich, von wenigen Bürgern nachvollziehbar, die diese Geschichte kennen. Mich hat es geärgert und mir stößt es immer noch sauer auf.
Und ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass gerade in der Informatik (mittlerweile eines der Schlüsselbereiche der Zukunft) immer wieder fragwürdige Entscheidungen getroffen werden, die mehr in politische Richtung gehen und dass bei den Entscheidungsträgern fast ausschließlich Leute sitzen, die eben ausschließlich die Microsoft Welt kennen und dann ist es wohl vermutlich der bequemste Weg das zu gehen, das sie vermeintlich zu kennen scheinen.
Nun zu diesem speziellen Fall wurde eine Studie von der Alpin vorgestellt und wie in der Tageszeitung dann zu lesen war, wurde darin eine Studie einer Gemeinde Italiens zitiert, deren positives Gutachten hin zu Microsoft von Microsoft selbst erstellt wurde. Ob das wahr ist weiss ich nicht. Jedenfalls kenne ich die Fa. Alpin recht gut und weiß, dass die Microsoft lastig agieren.
Persönlich bin ich der Meinung, dass diese externen Studien nicht viel nützen, weil sie in der Regel viel zu wenig die internen Strukturen durchleuchten und nebenher noch saftig Steuergelder kosten.
Ich bin in der benSystemabteilung des Gemeindenverbandes beschäftigt und wir waren Vorreiter in Sachen Opensource und hatten auch unsere lieben Probleme hin zur Umstellung zu freier Software. Das stimmt bis zu dem Moment, wo das Thema – hin zum Anwender – ernst angegangen wurde. Es wurde eine Person eingestellt, die z.B Libreoffice systematisch schulte, ab dann wurde das Projekt zu einem großen Erfolg. Mittlerweile sind die meisten größeren Körperschaften (nicht alle, wohlgemerkt), aber vor allem die Bezirksgemeinschaften zum größeren Teil auf Libreoffice umgestiegen. Die Schnittstellen von anderen Programmen hin zu Libreoffice funktionieren sehr stabil, was wir vorher von Ms-Office nicht behaupten konnten.
Libreoffice als Projekt beschäftigt mittlerweile über 1000 Mitarbeiter (ein Großteil freiwillig und mit Begeisterung), d.h das ist ein Projekt, das voll Fahrt aufgenommen hat und mit jeder neuen Version um einiges besser wird. Da sind sehr wohl auch große kommerzielle Firmen dahinter, die Interesse haben, dass das Projekt funktioniert (Red-Hat, Ubuntu, Google, Intel, Novel usw)
Ich versuche hier mal aus meiner Sicht einigeben Fakten oder eine „Studie“ zusammenzutragen, die Sie vermutlich nicht oder nur teils kennen, aber für Sie als Informatiklandesrätin auch wichtig sein sollten:
a) Die Gemeinden und Bezirksgemeinschaften arbeiten mittlerweile über 60% mit Libreoffice. Und die Bezirksgemeinschaften haben hauptsächlich auch aus Kostengründen auf Libreoffice umgestellt. Und glauben Sie mir, die arbeiten mittlerweile nicht weniger produktiv, als wenn sie Ms-Office hätten. Systematische Schulung (und ausschließlich Schulung) ermöglicht sowohl mit Ms-Office als auch mit Libreoffice effizient zu arbeiten.
a1) Libreoffice hat momentan nur eine rudimentäre Cloudlösung (das wurde in der Alpin-Studie ja auch unterstrichen), das stimmt, spielt aber im Moment überhaupt keine Rolle weil auch mit Microsoft Office Online oder Google online kann mit dem momentanen Stand der Dinge nicht bussinessready gearbeitet werden. D.h. es muss die nächsten Jahre immer noch ein Offline Paket auf den Geräten installiert werden. Und Libreoffice kann genauso in die Microsoft Cloud, Sharepoint oder Google Cloud kommunizieren wie Msoffice
b) WICHTIGSTER PUNKT: vor allem in den Schulen sollte Linux und Libreoffice, Gimp und andere freie Vorzeigeprojekte kein Tabu-Thema mehr sein, sondern sollten gleichberechtigt unterrichtet werden. Vor allem in den internationalen Universitäten spielt Linux eine immer bedeutendere Rolle. Vor allem das Internet der Dinge wird fast ausschließlich über Linux (Android ist auch Linux) abgewickelt werden. Programmiersprachen ganz oben im Ranking (nicht Microsoft Programmiersprachen wie C#) nein Java, C, C++, Python, PHP. Es wäre mir ein großes Anliegen das auch ihrem zuständigen Kollegen Philipp Achammer weiterzuleiten. Fast alle Netztechnologien wie Router, Switches, Telecomunikationskomponenten, Fernseher usw. laufen auf was? Ja richtig: Linuxkernel
Und es braucht keinen Hellseher, dass alles richtung Web läuft. D.h in 10-20 Jahren werden die meisten Applikationen über Web laufen. Die Schlüsselsystem dahinter (egal, ob das jetzt Cloud ist oder nicht) werden wiederum Linuxsysteme sein, natürlich werden auch Windows-Server eine Rolle spielen
Und ach ja, da fällt mir noch eine immens erfolgreiche Firma ein: Google. Arbeiten bei Google auf Microsoft-Systemen möglich, aber verpönt. Der große Teil der Belegschaft arbeitet ausschließlich auf Linux (Ubuntu Systeme). Ich kenne keine Firma, die in den letzten Jahren erfolgreicher war als Google. Allein das spricht Bände.
c) Ich persönlich habe beim Vorbereiten des Images für Windows 10 sehr unschöne Erfahrungen mit Microsoft gemacht. Spätestens da schrillen bei mir die Alarmglocken, ob Microsoft schon noch das Ruder in der Hand hat. Microsoft wollte mit aller Macht den Desktop, Tablet und das Smartphone erobern. Die Eroberung des Desktops hatten sie schon lange. Der Gedanke war da naheliegend, das selbe Gewand allen drei Sysemen überzustülpen, so würden sie auch die restlichen zwei Domänen erobern. Weit gefehlt. Im Smartphonebereich liegt Ms bei 2,5%. Aber was dank dieser „brillianten“ Idee jetzt ganz besonders schmerzlich ist, ist der Zustand, dass jetzt ein Desktopsystem names Windows 10 herumschwirrt, das ein Zwitter zwischen Alt und neu ist (die neue „Modern Ui“ skaliert auf Desktop-Bildschirmen erschreckend, alles wirkt ausgefranst, und genau diese erschreckende Oberfläche bekommen die Benutzer in der Landesverwaltung auch mit Office 2016 übergestülpt, sobald die LV Office 365 ankauft; glauben Sie mir, Libreoffice wirkt im vergleich sehr viel filigraner und moderner), in dem sich der Benutzer überhaupt nicht mehr zurechtfindet und für Systemadministratoren bereitet es Bauchschmerzen, weil viele viele Bugs und Unglaublichkeiten drinnen sind.
Zwei Unglaublichkeiten kann ich Ihnen nicht vorenthalten:
1. Große Windows-Updates kommen jetzt halbjährlich und können schon 3GB oder größer sein, die werden auf Ihren windows 10 Rechner (sofern Sie einen haben) runtergeladen und (Standardeinstellung Microsoft) über P2P Netz an beliebige andere Windows 10 PCs im Internet verteilt, damit das Microsoftnetzwerk nicht überlastet wird; d.h im Klartest, wenn Sie begrenztes Internetvolumen haben (und das haben sehr viele, die über Tim, Tre, Vodafone usw. ins Internet gehen) werden Sie möglicherweise eine große Rechnung nach Hause bekommen und die User wissen nicht warum.
Wenn Sie in der Firma arbeiten gehen, kann es sein, dass diese Technik Ihr Internet zumüllt
2. Microsoft hat mit windows 10 so viel Spyware eingebaut, dass man a) entweder blindes Vertrauen in Microsoft hat (nach dem NSA Skandal ??) oder es schlichtweg nicht benutzen darf
Siehe Link hier:
http://alles-schallundrauch.blogspot.it/2015/08/windows-10-ist-ein-spionagesystem.html
Lizenzvereinbarung Microsoft: „Darin heißt es, das Betriebssystem wird die Chronik der Internet-Nutzung sammeln und speichern, sowie Zugriffspunkte, Passwörter und andere persönliche Daten, einschließlich Standort, E-Mails und sonstige Kommunikation. Mikrosoft hat das Recht diese Daten mit anderen zu teilen, sie für Forschungszwecke zu benutzen und die Daten in irgendeiner Form zu veröffentlichen, so wie es ihnen beliebt. Für mich klingt dieses Kleingedruckte, wie wenn man seine Privatsphäre komplett aufgibt und sich freiwillig ausspionieren lässt“
Ich hab die 110 Seiten Lizenzvereinbarung nicht gelesen, daher weiß ich es schlichtweg nicht. Aber fest steht, das kann man in Fachzeitschriften wie Foren tausendfach nachlesen, dass Microsoft ab Windows 8 immens schnüffelt. Das sollte bei so sensiblen Daten wie Sanität schon ein ganz wichtiger Aspekt sein, vor allem wenn es jetzt ab in die Microsoft Cloud geht.
d) Sicherheit: Sicherlich haben Sie als Informatiklandesrätin von den Kryptoviren gehört, die letzthin die Welt in Atem halten. Sie bekommen eine Mail von einem Transportunternehmen, das Sie kennen, oder von Ihrer Lieblingfirma um die Ecke, oder von Ihrer Bank. Sie klicken auf deren Anhang und öffnen ihn, denn die Mail enthält ja schlüssige Informationen bzw. es ist ein Link dabei und klicken ihn an. Und plötzlich läuft da etwas auf Ihrem Rechner nicht mehr rund. Und plötzlich sind ihre Daten alle verschlüsselt und Sie haben ein riesen Problem. Und Sie müssen zahlen oder Sie haben vielleicht doch noch ein Backup irgendwo, verstaubt….
Das Schreckensszenario habe ich mir oftmals ausgemalt. Zum Glück ist bisher noch nicht all zuviel in Südtirol passiert, aber es ist schon einiges passiert, Firmen haben massiv Daten verloren. Kein Antivirus dieser Welt kann momentan diese „maledaiten Viecher“ abhalten, denn die werden ja zuerst entsprechend gestestet, dass kein Antivirenprogramm anschlägt und dann werden sie innerhalb weniger Stunden auf Tausende wenn nicht Millionen von Pcs losgelassen. Sie sind den Antivirenprogrammen immer voraus.
Es gibt nur einen Weg, der sicher zum Ziel führt: Windows weg und Linux hin (Bei Linux benötigen Sie nicht mal ein Antivirusprogramm). Outlook weg und ein freies Drittprodukt hin, das nicht die ganze Welt kennt. Freie Groupware auf dem Markt, die funktioniert, gäbe es zur Genüge.
Der Fall könnte Sie und die Landesverwaltung morgen schon beschäftigen, dass plötzlich hunderte von Rechner infiziert sind und alle fangen an zu verschlüsseln und dann steht die Landesverwaltung oder Sanität für Tage, wenn nicht Wochen still, passiert Ihnen garantiert nicht mit Linux und freien Produkten
e) Ein wichtiges Gegenargument von kommerziellen Produkten wird immer sehr vornehm verschwiegen: Kommerzielle Produkte leben vom Verkauf. Die müssen auf Druck produzieren. Nehmen wir Microsoft Office: Seit Office 2003 hat sich von der Funktionalität und Leistungsfähigkeit nichts weltbewegendes mehr getan. D.d die Benutzer könnten eigentlich mit Office 2003 auch im Jahr 2016 alles erledigen. So jetzt kommt Microsoft mit Office 2007 und den darauffolgenden Nachfolgern in die Verkaufsregale, schwätzt den Benutzern auf, alles noch besser. Die Wahrheit: komplett andere Oberfläche, alles umgerümpelt (sicherlich ieniges auch sinnvoller gestaltet), Ribbons, komplett neues Dateiformat. Der Benutzer kommt für einige Zeit überhaupt nicht zu fahren. Microsoft unterstützt Office 2003 noch ein Weilchen und dann schwups, auf neuen Windows-Systemen ist es schlichtweg nicht mehr kombatibel. Alles muss umgestellt werden. Neue, teure komplizierte Lizenzmodelle folgen. Nehmen wir jetzt Libreoffice zum Vergleich: Es ist im Grunde immer noch das selbe Produkt geblieben, d.h kleine Anpassungen, der Benutzer kann den Anpassungen leicht folgen, kleiner Lernaufwand und ist produktiv und teuere Lizenzen kaufen? Was ist eine Lizenz? Sie dürfen aber gerne mal eine kleine Spende einreichen. Die arbeiten eben ehrenamtlich, hobbymäßig, weil sie an das Projekt glauben und das Ehrenamt hat in Südtirol sonst überall einen hohen Stellenwert (nur nicht bei feier Software!)
Wenn jetzt komplett in die Ms Cloud gewechselt würde, irgendwann, dann siehts noch schlimmer aus. Wenn da ein Menü von Links nach rechts wandert, von einem Tag auf den anderen, weil es Microsoft so will, dann ist es schlagartig für alle Benutzer gültig. Beispiel Macros und Visualbasic: In der Landesverwaltung habe ich gehört, dass einige Poweruser viel mit Macros arbeiten. Die könnten dann von einem Tag auf den anderen nicht mehr funktionieren. Der Benutzer bekommt keine Chance die Anpassungen langsam zu machen.
Ich hoffe doch dass ich Ihnen einige Denkschübe verpasst habe, die schon überlegenswert sind, das sind nicht ersonnene oder ersponnene Dinge, sondern Dinge aus dem praktischen Leben eines Systemadministrators, der eben auch die Vorzüge von opensource kennt. Und glauben Sie mir, da sind wenige, die freiwillig wieder in die rigide closed-Source Welt zurückwechseln wollen.
Mit freundlichen Grüßen
Hubert